by Prof. Dr. Marion Grein
Hinführung zum Thema
In der heutigen Bildungslandschaft ist es längst bekannt, dass Schüler*innen unterschiedliche Lernvorlieben haben.
Lange standen die sog. Lern(er)typen (visuell, auditiv, haptisch oder kommunikativ) im Vordergrund der Darstellungen. Der Gedanke dabei war, dass ein visuell orientierter Mensch am besten lernt, wenn ihm visuelle Materialien angeboten werden, und ein auditiver Mensch am besten durch Zuhören. Dieser Ansatz gilt heute als überholt, und man operiert mit diversen Lernstilkategorien. Ein Lernstil beschreibt die Neigung einer Person, Informationen auf bestimmte Weise zu verarbeiten – also, ob jemand z.B. lieber strukturiert und analytisch vorgeht oder ganzheitlich und kreativ. Man kann als Lehrkraft sicherlich im Unterricht nicht auf alle Vorlieben der Schülerinnen und Schüler eingehen, aber man sollte sich darüber bewusst sein, dass die Lernenden andere Präferenzen beim Verarbeiten von Informationen haben. Insgesamt liegen zahlreiche Lernstil-Modelle vor, die für die Unterschiede sensibilisieren.
2. Was beeinflusst den Lernprozess und auf welche Faktoren kann man Einfluss nehmen?
Der Lernprozess ist von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst, die auf kognitiver, emotionaler und sozialer Ebene liegen. Auf neurobiologischer Ebene ist das Limbische System von Relevanz. Es wirkt als eine Art „Relevanzdetektor“ und „Motivationszentrale“ für das Gehirn, indem es entscheidet, welche Informationen als wichtig genug erachtet werden, um verarbeitet und langfristig gespeichert zu werden. Dieser Prozess beeinflusst, welche Inhalte als bedeutsam wahrgenommen und daher in Gedächtnisinhalte umgewandelt werden, um dann schließlich im Langzeitgedächtnis gespeichert werden zu können. Das Limbische System veranlasst auch die Ausschüttung von Dopamin, also einem Neurotransmitter, der uns glücklich macht und Lernen erleichtert. Was mag das Limbische System der meisten Lernenden?
eigene Darstellung
Emotionale Bindung
Eine der stärksten Motivationen für Lernende ist die emotionale Bindung zu den Inhalten. Wenn Lernende einen persönlichen Bezug zu den Themen herstellen können, aktiviert dies das limbische System und fördert das Lernen. [projektbasiertes Lernen, Diskussionsrunden]
Positive Verstärkung
Das limbische System reagiert stark auf Belohnungen und positive Verstärkung. Wenn Lernende für ihre Leistungen gelobt oder belohnt werden, wird das Gefühl der Zufriedenheit und des Erfolgs aktiviert, was die Motivation steigert. Lehrkräfte können dies durch regelmäßiges Feedback, Anerkennung von Fortschritten und das Setzen erreichbarer Ziele umsetzen. Ein positives Lernumfeld, in dem Fehler als Teil des Lernprozesses angesehen werden, trägt ebenfalls zur Motivation bei.
Soziale Interaktion
Soziale Interaktionen sind ein weiterer wichtiger Aspekt, der das limbische System anspricht. Lernende sind oft motivierter, wenn sie in Gruppen arbeiten oder sich mit anderen austauschen können. Teamarbeit und kooperative Lernmethoden fördern nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern auch das emotionale Engagement. Lehrkräfte sollten Gelegenheiten für Diskussionen, Gruppenprojekte und Peer-Feedback schaffen, um die soziale Dimension des Lernens zu stärken.
Herausforderungen und Selbstwirksamkeit
Das limbische System wird auch durch Herausforderungen aktiviert, die als machbar wahrgenommen werden. Lernende sind motivierter, wenn sie das Gefühl haben, dass sie die Aufgaben bewältigen können und ihre Fähigkeiten verbessern. Lehrkräfte sollten daher Aufgaben anbieten, die herausfordernd, aber erreichbar sind, und den Lernenden die Möglichkeit geben, ihre Fortschritte zu erkennen. Die Förderung von Selbstwirksamkeit, also das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, ist entscheidend für die Motivation.
Methodenvielfalt
Um alle Lernenden positiv anzusprechen, also zu motivieren, benötigt man einen Methodenwechsel, von Plenum zu Partner- zu Gruppenarbeit und kooperativen Lernformaten (nach dem Modell think-pair-share). Zentral ist hier auch Multikodalität, also der Einsatz unterschiedlicher Formate (Filme, Outdoor-Aktivitäten, Bilder usw.).
Produktorientierung
Das (gemeinsame) Herstellen eines Produkts (z.B. Poster, e-Book, Podcast, Internetseite, Lied) erhöht die Ausschüttung von Dopamin. Man sollte folglich gerade am Ende einer Unterrichtseinheit eine Aufgabe formulieren, die die Lernenden in Form eines Produkts lösen.
Virtuelle und KI-Tools
Virtuelle Tools (wie Padlet, Mentimeter, Canva, Flip, Kahoot, Quizlet) motivieren die meisten Lernenden, d.h. die Lernenden selbst erstellen mit diesen Tools z.B. Zusammenfassungen. Auch der gezielte Einsatz von KI-Tools (vor allem für Musik, Filme, Visualisierungen) fördert Reflexionskompetenz und ist meist hoch motivierend.
3. Hirndominanzen
Die Studien im Bereich der Hirndominanzen sind umstritten. Unabhängig davon, ob man an sie glaubt oder nicht, zeigen sie jedoch die unterschiedlichen Pole in Bezug auf die Lernstile. Es handelt sich dabei um ein Kontinuum, d.h. die meisten Lernenden sind weder ganz links oder ganz rechts auf dem Kontinuum zu finden. Der Test hierzu ist im Anhang näher beschrieben.
links rechts
Struktur Abwechslung
Aufgabe für Aufgabe Aufgaben überspringen OK
Lehrwerk wichtig Lehrwerk weniger zentral
Erst Einzelarbeit, dann Partner- oder Gruppenarbeit Gleich Austausch mit anderen
Passive Übungen zur Festigung (Sicherheit) Passive Übungen sind langweilig
Rollenspiele bereiten “Angst”. Rollenspiele machen Freude
Abgeleitet von den Hirndominanzen kann man vor allem zwischen „sequentiellen“ und sog. „zufälligen“ Lernenden differenzieren.
Beobachtungsfragen
Zeigt das Kind eine Vorliebe für Schritt-für-Schritt-Anweisungen?
☐ Ja (links)
☐ Nein (rechts)
☐ Manchmal
Wird es unruhig, wenn man von einer festen Struktur abweicht?
☐ Ja (links)
☐ Nein (rechts)
☐ Manchmal
4. Feldabhängigkeit erkennen und berücksichtigen
Feldabhängigkeit und Feldunabhängigkeit beschreiben, wie sehr jemand von der umgebenden Struktur bzw. dem Umfeld beeinflusst wird. Feldabhängige Personen nehmen Informationen eher im Kontext wahr und lassen sich stärker von äußeren Reizen leiten, während feldunabhängige Personen in der Lage sind, das Umfeld unberücksichtigt zu lassen. In vielen Schulen in Deutschland hat man inzwischen Kopfhörer für feldabhängige Kinder eingeführt. Stark feldabhängige Kinder können sich bei spezifischen Geräuschen z.B. nicht konzentrieren. Bei feldabhängigen Lernenden ist es sehr viel wichtiger, dass ihnen der Unterrichtsraum, das Lehrwerk, die Lehrkraft, die Mitlernenden gefallen. Aussagen wie „stell dich nicht so an“ sind da meist kontraproduktiv. Feldabhängige Schüler:innen arbeiten lieber erst alleine. Auch hier helfen einfache Beobachtungsaufgaben wie:
Hat der/die Lernende Schwierigkeiten, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, wenn es Ablenkungen z.B. in Form von Musik / spezifischen Geräuschen / Gerüchen gibt? (vor allem Äpfel, Karotten, Essgeräusche).
☐ Ja
☐ Nein
☐ Manchmal
Der/die Lernende räumt den Tisch (in der Schule und zu Hause) auf, ehe er/sie anfängt zu lernen?
☐ Ja
☐ Nein
☐ Manchmal
Der/die Lernende möchte die Seite noch einmal neu schreiben, wenn es Kleckse / Fehler o.Ä. auf dem Blatt gibt?
☐ Ja
☐ Nein
☐ Manchmal
Der/die Lernende mag keine Eselsecken oder Falten in seinen/ihren Unterrichtsmaterialien?
☐ Ja
☐ Nein
☐ Manchmal
Die Hefte sind ordentlich in der Tasche und Papier wird möglichst präzise von Ecke zu Ecke gefaltet?
☐ Ja
☐ Nein
☐ Manchmal
Auswertung: Feldabhängige Schüler:innen beantworten die Fragen überwiegend mit Ja.
In dem handlichen Flyer im Anhang finden Sie weitere Tipps sowie all die Beobachtungsfragen, die Ihnen als Lehrkraft helfen, den Lernvorlieben Ihrer Schüler:innen besser gerecht zu werden.